Shiatsu wirkt – und wie!?!

Dass Shiatsu wirkt – daran besteht kein Zweifel: Die Beweglichkeit nimmt zu sagt einer, Schmerzen verschwinden sagt ein anderer, der Schlaf kehrt zurück freut sich ein dritter. Aber wie genau wirkt Shiatsu? Und wie lässt sich dieses individuelles Erleben allgemeingültig beschreiben? Mein Versuch ist es, hierfür ein Pfadmodell zu nutzen. Ein Modell, das zwar, wie alle Modelle die Wirklichkeit vereinfacht, gleichzeitig aber den Anspruch hat, die intendierten Wirkzusammenhänge zu ordnen und auch den komplexen Wechselwirkungen gerecht zu werden. Denn Shiatsu wirkt in den seltensten Fälle „linear“ im Sinne von „Immer wenn der Praktiker Dieses macht, dann passiert Jenes“.

Aufgabe eines solchen Modells kann es sein, den Rahmen für wissenschaftliche Studien zu bieten: Systematisch werden dann einzelne Pfeilverbindungen des Modells untersucht (siehe Abbildung 1). Mein Wunsch: Langfristig auf eine Evaluation der Wirksamkeit von Shiatsu hinzuarbeiten. Anhand der Belege aus wissenschaftlichen Studien könnten sukzessive alle Aspekte des Modells systematisch überprüft werden. Mit Hilfe statistischer Verfahren ließe sich dann in der für die Gesundheits-Fachwelt „richtigen Sprache“ die Wirkung beweisen.

Das Modell besteht aus mehreren, aufeinander aufbauenden Stufen und beschreibt, vereinfacht gesagt, was man einbringt und welche aufeinander aufbauenden Auswirkungen damit erzielt werden. Mit Blick auf diesen Zweck einer Wirkungsevaluation liest sich das Modell von unten nach oben:

  • Ausgangspunkt sind die Ressourcen1, die Shiatsu-Praktiker*in oder Klient*in mitbringen, also etwa Ausbildung, Resonanzfähigkeit, finanzielle oder zeitliche Ressourcen.
  • Diese führen zur Aktivität, der Shiatsu-Behandlung, deren Auswirkung „der berührte Mensch“ ist.
  • Diese Berührung kann im Sinne einer Leistung ein Ergebnis der nächsten Stufe bewirken oder auch gleich alle drei – nebst der sich beeinflussenden Wechselwirkungen: Erleben einer konkreten Körpererfahrung, Spüren der Kraft von Aufmerksamkeitsprozessen, das Erleben von Vertrauen und ein „zur Ruhe kommen“. Durch diese Leistung kann der Raum für Veränderung geschaffen werden, was wiederum zu unterschiedlichen Effekten führt:
  • Neben dem Erleben von Entspannung oder Selbstzuwendung kann ein „Loslassen“ passieren, das den Kopf frei werden lässt oder Gewebsstrukturen lockert. Zusammen mit dem Erleben von Verbundenheit habe ich auf dieser Wirkungsebene drei Effekte von Shiatsu verortet, die schon deutlich abstrakter sind.
    Das ist genau das Prinzip solcher Modelle: Man beginnt mit den konkreten Auswirkungen, die entsprechend auch leichter nachzuweisen sind. Im Falle von Shiatsu sind dies die Auswirkungen, die uns die Klient*innen auch häufiger berichten. Einigen Klient*innen werden hingegen selbst diese nicht bewusst.
  • Gleiches gilt auch für das „Qi-Erleben“ – ich lehne mich hier an die Definition von Achim Schrievers an und benenne das Gefühl von Strömen, Temperaturwechsel, Blubbern, Ziehen, Pochen oder Zucken als unmittelbares Ergebnis einer Shiatsu-Behandlung. Die Worte für das, was die Klient*innen da empfinden, sind mindestens genauso vielfältig wie die Erlebnisdimensionen.
  • Auf der nächsten Stufe bündelt das Modell die mittelbaren Ergebnisse. Damit sind genau jene Auswirkungen gemeint, um die es in klinischen Studien meist geht: Die Verbesserung von Symptomen oder der Körperwahrnehmung der Klient*innen.
  • Doch mit dem Verschwinden von Symptomen ist es nicht getan: Die in der zweitobersten Stufe beschriebenen, deutlich abstrakteren individuellen Wirkungen vermögen es, gesellschaftliche Wirkungen auszulösen. Etwa durch eine verbesserte Selbstannahme, die dazu führt, dass ich stärker nach meinen Bedürfnissen handele – und in der Folge vielleicht auch rücksichtsvoller im Umgang mit Anderen werde. Dies etwa, weil ich leichter akzeptieren kann, dass auch Andere ihre Bedürfnisse befriedigen dürfen.

Für Mittelgeber sicherlich besonders spannend ist einer der abstrakteren Zusammenhänge: Inwiefern führt der verbesserte Zugang zu Selbstheilungskräften durch Shiatsu zu einer Senkung der Kosten auf dem ersten Gesundheitsmarkt?

Wirkmodell Shiatsu
Abbildung 1: Anhand dieser Logik ließe sich die Wirksamkeit von Shiatsu systematisch überprüfen

Soweit die Logik des Modells für den Nachweis von Wirkung. Doch ist das in meinen Augen nur die halbe Wahrheit. So wird beispielsweise eine Klientin, deren Symptome sich nach einer Shiatsu-Behandlung verbessert haben (Stufe der unmittelbaren Ergebnisse), vermutlich in weit stärkerem Maße eine Veränderungsbereitschaft (Stufe der Ressourcen) spüren. Ihre durch mehrmalige Behandlungen geschärfte Körperwahrnehmung (Stufe der mittelbaren Ergebnisse) führt vielleicht dazu, dass sie plötzlich stärker ins Qi-Erleben kommt (Stufe der unmittelbaren Ergebnisse) oder einen Zugang zu Schmerzerleben erfährt (Stufe der Leistungen).
Mit anderen Worten: Es fehlen in der Abbildung 1 noch sehr viele Pfeile, vor allem jene, die Auswirkungen auf frühere Wirkstufen symbolisieren (also nach unten gerichtet sind) oder das Überspringen von Wirkstufen. Deshalb: „Von unten nach oben“ gelesen bietet das Modell den Rahmen für wissenschaftliche Studien. Für meine eigene Auseinandersetzung mit Shiatsu oder auch für Gespräche mit den Klient*innen sind die Wechselwirkungen zwischen allen Stufen des Modells deutlich spannender – so vermute ich jedenfalls. Außerdem werden nicht alle Auswirkungen von Klient*innen bewusst wahrgenommen; vielleicht werden also auch Wirkstufen übersprungen? Daher ergänze ich an dieser Stelle noch einen Ausschnitt, wie sich mir als Shiatsu Praktikerin und Klient*in die Wirkung darstellt (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Diese Logik passt stärker zu meinem Erleben und sie hilft mir im Gespräch mit Klient*innen. Leider ist sie alles andere als übersichtlich.

Und es fehlt noch mehr: Etwa die Auswirkungen, die das Geben von Shiatsu auf die Praktiker*innen selbst haben. Mit Blick auf die Übersichtlichkeit habe ich auf diesen Aspekt verzichtet. Wie gesagt – im Fokus stand für mich ein Rahmen für wissenschaftliche Studien. Während der Beschäftigung mit dem Modell wählte ich übrigens die verwendeten Begriffe plötzlich immer vorsichtiger aus. Mir wurde bewusst, wie stark allein die Benennung von meiner persönlichen Shiatsu-Überzeugung geprägt ist. Daher entlieh ich mir schließlich oft die Worte anderer, statt meine eigenen Begriffe zu verwenden: Zunächst von den Teilnehmer*innen des „Projekts Tiefeninterviews“, dessen Ergebnis Achim Schrievers im Buch „Schätze des Shiatsu“² zusammengefasst hat. Danach von anderen Shiatsu-Praktikern, mit denen ich das Modell diskutierte. Allen voran auch hier wieder Achim Schrievers – seine unermüdlichen Rückmeldungen auf die Modellentwürfe waren sehr hilfreich.


1 Die Begriffe Ressource, Aktivität, Leistung, Effekt, Ergebnis, und Wirkung dienen der Unterscheidung der verschiedenen Stufen des Wirkmodells und sind der Evaluations-Sprache entlehnt. Im Shiatsu-Kontext mögen sie auf einige Leser befremdlich wirken…bitte in diesem Fall gedanklich einfach ersetzen durch „Stufe 1“, „Stufe 2“…

² Schrievers, A. (2017). Schätze des Shiatsu. Norderstedt, BoD


Diese Informationen zur Wirkweise von Shiatsu können Sie sich auch als PDF herunterladen:

Noch mehr zum Thema: https://www.shiatsu-gsd.de/node/8065